Firmengeschichte Leitz

 

Carl Kellner (1826 - 1855), Sohn des Verwalters einer Eisenhütte, ging nach der Schulzeit 1843 in die Werkstatt des Gießener Mechanikers Sartorius und bildete dort seine handwerklichen Fähigkeiten aus. Von 1845 bis 1846 arbeitete Kellner in der für ihre astronomischen Instrumente bekannten Firma Repsold in Hamburg. Seit dieser Zeit ist Kellner mit Moritz Hensoldt befreundet.

Wieder zurück in seinem Elternhaus in Braunfels beschäftigte er sich ab 1846 mit der theoretischen und praktischen Optik. 1847 entwickelte er das den bisherigen Okularen überlegene "orthoskopische Okular", welches sich durch ein großes und randscharfes Sehfeld auszeichnete. Diese Erfindung wertete Kellner seit Mitte 1849 in Wetzlar nach Gründung seines "Optischen Instituts" aus.

Eine Veröffentlichung der Schrift "das orthoskopische Okular" machte den Namen Kellners in Forscher- und Universitätskreisen bekannt. Besonders bedeutsam war die Anerkennung durch den Göttinger Mathematiker Gauß (vgl. 6, S. 36).

Das farben- und verzerrungsfreie Okular wurde an bekannte Sternwarten ausgeliefert und brachte die Anerkennung führender Wissenschaftler und Astronomen. Bisher wurden nur astronomische Fernrohre und Mikroskopokulare gefertigt. Erst durch die eingehenden Bestellungen erkannte Kellner auch die zunehmende Bedeutung des Mikroskops (vgl. 3, S. 54).



m687_1

Mikroskop mit der Signatur "C. Kellner in Wetzlar N. 128"
 
 

 

Angeregt durch die Bestellungen der Okulare für Mikroskope wurden seit 1851 auch Mikroskope produziert. Die erste Lieferung eines Mikroskops erfolgte am 9.5.1851 nach Genf (vgl. 5, S. 15). Schon in den ersten Jahren wurden die Mikroskope nicht nur nach Deutschland, sondern auch nach Österreich, den Niederlanden, Schweden, Norwegen und die Schweiz geliefert. Kellner hatte damit den Grundstein für die Wetzlarer optische Industrie gelegt.

Wirtschaftlich nach kurzer Zeit auf solidem Fundament stehend heiratete Kellner 1852 die Adoptivtochter seines Mathematiklehrers Dr. Stein aus Gießen. Bei ihm hatte Kellner im Alter von 17 Jahren neben seiner Lehre bei Sartorius Unterricht in Mathematik genommen.

Zwischen 1851 und 1855 verließen maximal 165 Mikroskope die Kellnersche Werkstatt. Dabei lassen sich bei den Mikroskopen 3 Bautypen unterscheiden. Daneben wurden 5 oder mehr große astronomische Teleskope und vermutlich mehr als 100 Handteleskope produziert (vgl. 6, S. 36).

Viele in Wissenschaft und Forschung bekannte Mediziner und Botaniker arbeiteten mit den Mikroskopen Kellners. Zuerst fanden die Mikroskope an der Universität Gießen Anerkennung. 11 Gießener Professoren, Mediziner und Botaniker, arbeiteten mit den Mikroskopen Kellners. Der Anatom Bischoff bestellte alleine 14 Mikroskope bei Kellner.

Aber auch bekannte Professoren anderer Universitäten bestellten ihre Geräte bei der jungen Firma wie z. B. Bardeleben (Greifswald), Kölliker (Würzburg), Kohlrausch und Wigand (Marburg), Leydig und von Mohl (Tübingen), Liebig (München), Schleiden (Jena), Virchow (zu der Zeit noch in Würzburg) und Wasner (Göttingen). Die Werkstatt beschäftigte bald 12 Gehilfen und Lehrlinge (vgl. 5, S. 17).


Bis zu Kellners Tod, im Mai 1855, ergaben sich folgende Produktionszahlen (vgl. 3,S. 21, und vgl. 2,S. 31):


JahrStückzahl
1851 - -
1852 28 28
1853 39 39
1854 50 40
1855 44 34

 

Obwohl vom gleichen Autor unterscheiden sich die angegebenen Produktionszahlen in beiden Quellen leider etwas. Gemeinsam in beiden Quellen ist die Angabe, daß bis zum Jahr 1854 insgesamt 131 Mikroskope hergestellt wurden (vgl. 3. S. 23, und vgl. 2, S. 34).

Noch weitere Angaben hinsichtlich der Stückzahlen lassen ich finden: die ersten 64 Mikroskope Kellners wurden nicht nummeriert; das Mikroskop Nr. 122 wurde 1854 hergestellt (vgl. 1, S. 22). Das Mikroskop mit der Nummer 128 wurde laut dem Geschäftsbuch von Kellner am 16.8.1855 fertiggestellt. Das Mikroskop Nr. 163 hatte Belthle, der Nachfolger Kellners, produziert und zur vergleichenden Prüfung bekannten Gießener Professoren zugesandt (vgl. 2, S. 39). Abschließend läßt sich annehmen, daß maximal 160 Mikroskope mit der seltenen Signatur "C. Kellner in Wetzlar" gefertigt wurden.

Moritz Hensoldt half Kellner ab 1849 als Mechaniker im Optischen Institut. Die Zusammenarbeit währte nicht lange. Hensoldt gründete ein eigenes Unternehmen. Kellners Vetter Ludwig Engelbert, der bei ihm gelernt hatte, leitete das Unternehmen während Kellners Krankheit und auch nach seinem Tod. 1856 machte Engelbert sich selbständig. Ab 1861 besteht auch eine gemeinsame Firma mit Hensoldt. Ein weitere Mitarbeiter Kellners war Wilhelm Seibert. Seit 1854 war er Lehrling im Optischen Institut.



m687_2
 
Das "kleine Mikroskop" Nr. 128 im komplett ausgestatteten Kasten
 
 

 

Im Jahr 1854 erkrankt Kellner an einer Lungentuberkulose, im Mai 1855 starb er. Sein Vetter Louis Engelbert, den Kellner kurz vor seinem Tod in seine Pläne und Berechnungen eingeweiht hatte, führte das Unternehmen bis 1856 weiter und machte sich später selbständig. 1856 heiratete Friedrich Belthle (1829 - 1869), ein Mechaniker Kellners, die Witwe und übernahm als Inhaber die Leitung des Betriebes. Obwohl ohne herausragende optische Leistungen sicherte Belthle den Fortbestand des Unternehmens. In der Fachwelt wurden die Mikroskope optisch als fast gleichwertig und mechanisch besser eingestuft als die Geräte Kellners (vgl., 2, S. 39). Virchow wurde 1856 von Würzburg nach Berlin berufen und bestellte für das dortige Pathologische Institut eine größere Anzahl von Mikroskopen bei Belthle.

1857 trat H. Rexroth als Teilhaber in die Firma ein. Sie hieß nun bis 1861: Fr. Belthle & H. Rexroth, vormals C. Kellner. Von 1857 bis 1858 war Ernst Gundlach Gehilfe in der Firma. 1861 trat Rexroth wieder aus der Firma aus, machte sich selbständig und baute telegraphische Anlagen. Für wenige Jahre führte Belthle die Firma wieder alleine. Der 1864 in die Firma eingetretene Ernst Leitz schloß 1865 mit Belthle einen Gesellschaftsvertrag und wurde damit Mitinhaber der ehemaligen Kellnerschen Firma. Belthle starb nach längerer Krankheit 1869.

Ernst Leitz (1843 - 1920), Sohn eines Realschullehrers aus Baden, hatte in der mechanischen Werkstatt von Christian Ludwig Oechsle in Pforzheim als Mechaniker gelernt. Hier wurden zahlreiche physikalische Apparate (u. a. die "Oechsle´sche Mostwaage", erfunden vom Vater Oechsles) und optische Instrumente gebaut. 1863 arbeitete Leitz als Gehilfe bei Mathäus Hipp, dem bekannten Hersteller elektrischer Uhren in der Schweiz. Hier lernte er offenbar die Serienfertigung feinmechanischer Erzeugnisse kennen.

Seit 1864 arbeitete Leitz bei Belthle in Wetzlar. Pro Jahr wurden zu dieser Zeit ca. 70 Mikroskope produziert. Der Betrieb war noch vollkommen handwerklich ausgerichtet, d. h. ein Mechaniker fertigte ein Gerät komplett in allen Teilen selbst. 1865 trat Ernst Leitz als Teilhaber des erkrankten Belthles in die Firma ein. Nach dem Tod Belthles 1869 übernahm Leitz die Firma als Alleininhaber. In dieser Zeit bestimmten Schulden, Mangel an optischen Innovationen und ein harter Wettbewerb die Situation des Unternehmens. So bot Hartnack aus Paris äußerst erfolgreich gute und preiswerte Mikroskope an. Auch die Firmen Engelbert & Hensoldt und die Gebrüder Seibert am Ort stellten eine ernstzunehmende Konkurrenz dar.


Der Aufschwung nach dem deutsch-französischen Krieg, das Verschwinden des bedeutenden Konkurrenten aus Paris (Hartnack, vormals Oberhäuser) und eine arbeitsteilige Serienherstellung von Mikroskopen mit kürzeren Lieferzeiten erschlossen den rasch zunehmenden Absatz an den Universitäten. Ein starker Aufschwung mikroskopischer Forschung und technische Verbesserungen der Leitz-Mikroskope führten zusätzlich zu steigender Nachfrage nach preiswerten Mikroskopen.

1870 erschien das erste Preisverzeichnis von Leitz mit neuen Objektiven, den Wasser-Immersionen. Auch wurden die bis dahin nach dem Vorbild Kellners gebauten Stative an die allgemeine Entwicklung im Bau von Mikroskopen angepaßt. Das von Chevalier, Nachet und Oberhäuser gebaute und von Hartnack vervollkommnete Hufeisenstativ mit Zahn und Trieb für die Grobeinstellung und Feineinstellung in der Säule wurde auch für Leitz das Vorbild. Dieses Stativ hatte sich allmählich als kontinentales Stativ gegen die englischen Stative durchgesetzt. 1867 verließ das 1000. Mikroskop die Werkstatt. 1875 zählte die Belegschaft 20 Personen, 1887 schon 120 und 1889 dann 200 (vgl. 5, S. 22f). 1891 erschien erstmals ein Leitz-Katalog ohne die Bezugnahme auf den Gründer C. Kellner und die Neuerungen nahmen einen beträchtlichen Umfang an (vgl.4, S.22).

Seit 1880 wurde der "Beleuchtungsapparat nach Abbe" angeboten. 1881 führte Leitz die homogene Öl-Immersion ein. Der Absatz konnte erheblich gesteigert werden. 1887 wurde das 10.000. Mikroskop ausgeliefert, 1899 das 50.000 Gerät. Seit 1889 gab es das große Hufeisenstativ mit dreh- und zentrierbarem rundem Tisch. Ab 1907 wurde das bildaufrichtende stereoskopische Doppelmikroskop angeboten und seit 1913 das monobjektive Binokular-Mikroskop.



m687_4
 
Signatur des Mikroskops von Kellner auf dem Tubusring
 
 

 

 

1906 wurde Ernst Leitz jun. - nach seiner Lehrzeit seit 1889 - Teilhaber und übernahm 1920 die Firma, die inzwischen Weltgeltung erlangt hatte, alleinverantwortlich. 1917 wurde die bekannte Firma W. & H. Seibert übernommen. Seit 1924 erfolgte die Produktion der berühmten Leica.
 

Die neuere Entwicklung ist von Unternehmenskäufen und -zusammenschlüssen gekennzeichnet. 1978 scheidet die Familie Leitz als Miteigentümer aus, nachdem seit 1974 die Schweizer Firma Wild die Kapitalmehrheit übernommen hat. 1988 erfolgt eine Namensänderung in Wild-Leitz GmbH und 1990 dann eine in Leica Mikroskopie und Systeme, nachdem ein Zusammenschluß mit der Cambridge Instruments erfolgt war. 1996 beginnt der Börsengang der nun rechtlich selbständigen Leica-Camera-Gruppe (seit 1996 gehört auch Minox dazu). 1997 erfolgt die Verselbständigung der Mikroskopaktivitäten als Leica Mikrosystems GmbH mit Sitz in Wetzlar.

 

 

Datierungshilfe an Hand der Nummern der jährlich gefertigten Mikroskope:

 

Die angegebenen Baunummern beziehen sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt während Jahres, sondern wurden in dem angegebenen Jahr irgendwann hergestellt (vgl. 1, S. 39 ergänzt durch eigene Angaben):

 

JahrBaunummerBemerkung
1851 1
1853 50
1854 91
1854 100
1854 122
1858 250
1861 500
1865 700
1865 750
1866 918
1867 1.000
1872 1.350
1872 1.414
1876 2.500
1879 3.431
1882 5.000
1885 7.707
1887 10.000
1888 12.896
1889 15.000
1890 17.620 (am 17.11.1890 ausgeliefert)
1890 18.135
1890 18.267
1891 20.000
1892 21.080 (am 11.6.1892 ausgeliefert)
1892 23.699 (am 29.9.1892 ausgeliefert)
1893 26.572
1893 26.572 (auch Mikroskop 29.227)
1894 30.000
1895 32.281
1896 40.000
1897 40.641
1898 47.792
1899 50.000
1902 65.000
1904 75.000
1906 86.814 (am 26.6.1906 ausgeliefert)
1907 100.000
1912 150.000
1916 171.414 (am 17.5.1916 ausgeliefert)
1918 108.545 (am 8.4.1918 ausgeliefert; diese Angabe bleibt unklar)
1921 200.000
1925 221.879 (am 28.1.1925 ausgeliefert)
1927 250.000
1982 1.000.000 (ab hier unterbleibt eine Nummerierung)

 

 

Nach dem Tod Carl Kellners wechselten die Signaturen und Firmenbezeichnungen seiner Werkstatt innerhalb kurzer Zeit mehrmals. Obwohl Unstimmigkeiten in einigen Quellen vorliegen, lassen diese wechselnden Signaturen bzw. Firmenbezeichnungen zwischen 1849 und 1869 zusätzlich zu den Baunummern der Mikroskope eine recht genaue Datierung zu:

 

1849 - 1855 Optisches Institut C. Kellner Signatur "C. Kellner in Wetzlar"

1855 - 1856 Leitung durch Ludwig Engelbert:

1856 - 1857 Alleineigentümer Fr. Belthle: Signatur "C. Kellners Nachf. Fr. Belthle in Wetzlar;

1857 - 1861 Fr. Belthle & H. Rexroth, vorm. C. Kellner;

1861 - 1865 Fr. Belthle, Carl Kellners Nachfolger: Signatur "C. Kellner´s Nachf. Fr. Belthle in Wetzlar";

1865 - 1869 Belthle & Leitz, Wetzlar: Signatur "C. Kellners Nachf. Belthle & Leitz in Wetzlar";

ab 1869 Ernst Leitz, Wetzlar; die ersten gefertigten Mikroskope wurden "E. Leitz in Wetzlar" signiert.

 

 

 

Ausgewählte Gerätesignaturen von frühen Leitz-Mikroskopen und den Vorläufern:

 

Das Mikroskop Nr. 113 von 1854 trägt die Signatur "C. Kellner in Wetzlar N 113".
(runder schwarzer Fuß, Feineinstellung hinten unter des Säule)

Das Mikroskop Nr. 128 von 1854 trägt die Signatur "C. Kellner in Wetzlar N 128".
(runder schwarzer Fuß, Feineinstellung hinten unter des Säule)

Das Mikroskop Nr. 367 von 1859 trägt die Signatur "C. Kellner, Belthle & Rexroth in Wetzlar No. 367".

Das Mikroskop Nr. 373 von 1859 trägt die Signatur "C. Kellner in Wetzlar Belthle & Rexroth No. 373".

Das Mikroskop Nr. 594 von 1864 trägt die Signatur "C. Kellner´s Nachf. Fr. Belthle in Wetzlar No. 594".

Das Mikroskop Nr. 672 von 1865 trägt die Signatur "C. Kellners Nachf. Fr. Belthle in Wetzlar Nr. 672".

Das Mikroskop Nr. 955 von 1866 trägt die Signatur "C. Kellners Nachfolger Fr. Belthle in Wetzlar Nr. 955".

Das Mikroskop Nr. 1.007 von 1866 trägt die Signatur "C. Kellner´s Nachf: Fr. Belthle in Wetzlar No. 1.007".

Das Mikroskop Nr. 1.108 von ca. 1867 trägt die Signatur "C. Kellners Nachf. Belthle & Leitz in Wetzlar No. 1.108".

Das Mikroskop Nr. 1.127 von ca. 1867 trägt die Signatur "C. Kellners Nachf: E. Leitz in Wetzlar No. 1.127".

Das Mikroskop Nr. 1.180 von ca. 1869 - noch im Stil Kellners und Belthles - trägt die Signatur "E. Leitz in Wetzlar No. 1.180".

Das Mikroskop Nr. 1.184 von ca. 1867 trägt die Signatur "C. Kellners Nachf: E. Leitz in Wetzlar No. 1.184".

Das Mikroskop Nr. 1.228 von ca. 1871 - noch im Stil Kellners und Belthles - trägt die Signatur "E. Leitz in Wetzlar No. 1.228". (viereckiger Fuß)

 


Literatur:

 

(1) Beck, R. Führer durch die Sammlung historischer Mikroskope, Wetzlar 1988.
(2) Beck, R. Mikroskope von Ernst Leitz in Wetzlar. Erfurt 2002.
(3) Berg, A. Ernst Leitz Optische Werke Wetzlar 1849 - 1949, Frankfurt 1949.
(4) Berg, A. Carl Kellner. Der Begründer der optischen Industrie in Wetzlar, Wetzlar 1955.
(5) Grehn, J. 125 Jahre Leitz-Mikroskope, Wetzlar 1977.
(6) Industrie- und Handelskammer Wetzlar: 100 Jahre Optik und Feinmechanik in Wetzlar, Wetzlar 1949.


Copyright Björn U. Kambeck 05/2013